Von Friederike Pannewick
Die palästinensische Literatur ist heute eine neben anderen arabischen Literaturen eigenständige Nationalliteratur. Dieses nationale Selbstverständnis entwickelte sich zeitgleich mit den zionistischen Einwanderungswellen in Palästina. Im Laufe der dreißiger Jahre schließlich und vor allem nach der Staatsgründung Israels 1948 bildete sich ein dezidiert palästinensisches politisches und kulturelles Selbstbewusstsein heraus.
Das Jahr 1948 war zugleich ein traumatisches Schlüsselereignis für die gesamte arabische Welt. Diese erste große Niederlage gegen Israel, das als imperialistischer Vorposten und verlängerter Arm der europäischen kolonialen Präsenz im arabischen Nationalgefüge empfunden wurde, erschütterte nicht nur das militärische, sondern auch das politische, nationale und kulturelle Selbstverständnis der arabischen Welt. Insofern ist die Palästinafrage, die das zentrale Thema der palästinensischen Literatur geblieben ist, zugleich Spezifikum einer Nationalliteratur und verbindende Kollektiverfahrung der arabischen Welt insgesamt.
In Palästina war die Lyrik die zentrale künstlerische Ausdrucksform. Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte Lyrik eindeutig, Kurzgeschichten und vor allem Romane gewannen erst allmählich an Quantität und Qualität, und bis zum heutigen Tag üben Prosatexte im geografischen Raum Palästinas keine führende repräsentative Funktion literarischer Fiktion aus. Demgegenüber kam der Lyrik stets eine zentrale Bedeutung als effektive Kraft und Ausdruck kultureller Selbstbehauptung zu, die ...