Anja Meulenbelt veröffentlichte seit Ende der sechziger Jahre soziologische und politologische Essays, sie untersuchte die Geschichte der niederländischen Frauenbewegung und schrieb auch Gedichte. Ihr erster Roman, “Die Scham ist vorbei” (1976), wurde jedoch nicht vor dem Hintergrund dieser frühen Texte rezipiert; vielmehr wurde die Schriftstellerin vorbehaltlos mit ihrer Ich-Erzählerin identifiziert; außerdem erregte die Thematisierung von Homosexualität Neugier und Widerspruch.
Ohne Einführung der Personen beginnt der Roman mit einer Liebesszene zwischen der Erzählerin Anja und ihrer Freundin Anna in Amsterdam; Wortwahl und Satzbau sind umgangssprachlich. Das folgende Kapitel stammt aus Anjas Tagebuch von einer Reise mit ihrem Freund Hans durch Südfrankreich. Der Wechsel zwischen diesen beiden durch Ort, Zeit und Handlung unterschiedenen Erzählsträngen bestimmt den Roman. Die jüngeren Tagebuchpassagen reflektieren zugleich den Prozeß der Niederschrift und sind voller Zitate aus feministischer Literatur – auch der Titel beruht auf einem Zitat: “the shame is over” von Kate Millet. Beiden Ebenen gemeinsam ist die Rekonstruktion von Anjas Vergangenheit: ihre Eheschließung mit sechzehn Jahren aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft, die Ehejahre in ständiger Abwehr von Vergewaltigungen durch ihren Mann, ihr Leben in Armut und ohne Aussicht auf Abhilfe. Auch ...